Samstag, 30. September 2017

Die Gebrüder Zehnbauer - Ein bedeutungsloses Bild ohne Bezug zur Familie? – Ein Bilderrätsel! (03_002)

Ein bedeutungsloses Bild! Ein Bilderrätsel? Wer ist der Tote?

Bei der Durchsicht der historischen Dokumente im Nachlass Johann Heinrich Zehnbauers tauchten auch Bilder bzw. Dokumente auf, die anfänglich zwar ohne Bezug zur Familie Zehnbauer zu stehen schienen, jedoch thematisch eindeutig dem Thema „Erster Weltkrieg“ zuzuordnen waren.

Eines der Bilder zeigt ein Holzkreuz auf einem frisch angelegten Grab inmitten eines Gräberfeldes. Das Grabkreuz zeigt den Namen der beigesetzten Person „Heinrich Ahlbach“ und die Einheit „Mun- Kol. D. 2. Battr., Fußartl. Regt. 22“ bei der die Person gedient hatte. Die genauen Geburts- und Sterbedaten hingegen ließen sich nicht ermitteln, nur das Geburtsjahr „[18]90“ und das Sterbejahr „[19]17“.

N
L_Zehnbauer_03_002.jpg; Nachlass Zehnbauer, Bensheim; Deutsches Soldatengrab in Koekuithoek [laut Bildaufschrift], Belgien; Aufschrift Kreuz: Fahrer Heinrich Ahlbach, Mun. Kol. d. 2. Battr., Fußartl. Regt. 22., geb. [14.05.1890], gef. [18.08.1917], Ruhe sanft. [Anm.: laut Preuß. Sterbeliste 942, aus Hadamar, Limburg / laut Ehrentafel des Masurischen Fußartl. Regt. 22 gefallen in Spriethoek]; digitalisiert und Recherche: Frank-Egon Stoll-Berberich 2017 ©.


Nachdem die Arbeiten an den Dokumenten vorangeschritten waren, zeigte sich allerdings, dass die auf dem Kreuz gezeigte Einheit auch die von Johann Heinrich Zehnbauer ist und somit sehr wohl ein Bezug zur Johann Heinrich bestand. Da dies das einzige Bild war, welches eine Grabstelle eines Kameraden zeigte, schien zudem auch eine freundschaftliche bzw. kameradschaftliche Verbindung bestanden zu haben; eine Erinnerung an einen guten Freund.


Die Suche beginnt

Durch die seit 2014 digital veröffentlichten Verlustlisten[1] des Ersten Weltkrieges ließ sich schnell der Name suchen, allerdings tauchte dieser dreimal auf.
Die erste Überlegung eine fehlerfreie Zuordnung durchzuführen, war die auf dem Foto handschriftlich vorgenommene Ortsangabe „Koekuithoek“ mit eventuell zu findenden Angaben zu den Standorten der Einheit abzugleichen, wobei dies aufgrund der wenigen verfügbaren Daten nicht fehlerfrei möglich war. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Name falsch notiert wurde, scheint recht hoch, die Ortsangabe „Kijkiuthoek“ hingegen liefert einen Standort , der ebenfalls in der Nähe der Geschehnisse liegt.
Der Standort des deutschen Soldatenfriedhofs „Menenwald“, der zwischen den Ortschaften Menen und Wevelgem liegt, trägt den Namen „Kijkuithoek“ und wurde im Juli 1917 während der dritten großen Schlacht um Ypern angelegt. In den 1950 Jahren wurden die vielen deutschen Soldatenfriedhöfe in Belgien zusammengelegt, so dass sich das Grab Heinrich Ahlbachs heute in Langemark befindet. Die sterblichen Überreste befinden sich in Block B Grab 12345[2]

Die Suche im Internet unter Eingabe des Namens und der Einheit brachte einen Eintrag, der die Ehrentafel des Masurischen Fußartillerie Regiments Nr. 22 zum Thema hatte. Hier ließen sich nun die weitere Angaben finden[3]:
„EHRENTAFEL - Vom ersten Bataillon des königlich-preußischen Fußartillerie-Reg. Nr 22 starben den Heldentod für das Vaterland […] Munitionskolonne […] Dienstgrad: Fahrer, Name: Ahlbach, Vorname: Heinrich, Geburtsdatum & Ort: /, Todesdatum & Ort: 18.08.1917 Spriethoek, Einheit: II. Battr., Bemerkungen: /“
In der Chronik des Regiments wird Ahlbach ebenfalls erwähnt, so heißt es zu den Ereignissen am 18.08.1917[4]:
„Am 18. August wird das Quartier der 2. Kolonne in Slypscapelle stark beschossen. Der Fahrer Ahlbach wird schwer verwundet – er stirbt am folgenden Tag –, 6 Zugpferde werden getötet, 1 verwundet.“ 
Von den drei Eintragungen in den Verlustlisten[1] fiel nur eine in den Zeitraum August 1917. Das „Armeeverordnungsblatt, 1633. Ausgabe, Seite 20719, Preußische Verlustliste 942, Verlustlisten vom 20. September 1917 “ zeigt folgenden Eintrag:
„Ahlbach, Heinrich – 14.05. Hadamar, Limburg – gefallen“.
Die fehlende Jahreszahl des Geburtsdatums in den Verlustlisten war nur eine der vielen Veränderungen, die im Laufe des Krieges in den Armeeverordnungsblättern vorgenommen wurden. Die Jahreszahl allerdings konnte der Fotografie entnommen werden.

Die Gesamtheit aller gefundenen Angaben lässt eine zweifelsfreie Zuordnung zu. Die Erwähnung des Ortes „Spriethoek“ lässt sich dadurch erklären, dass dies der Sterbeort ist.

Ahlbach wurde am 14.05.1890 in Hadamar geboren, wurde am 18.08.1917 Slypskapelle verwundet, verstarb in Spriethoek am 18.08.1917, wurde in Kijkuithoek beigesetzt und später nach Langemark umgebettet. Die einzige Abweichung ergibt sich aus dem in der Chronik zu findenden Hinweis, dass Ahlbach am darauffolgenden Tag, also dem 19.08.1917 verstorben sein soll.

Standort des Grabes in Kijkuithoek (1917)



Lage des heutigen Grabes in Langemark


Was war geschehen? - Des Rätsels Lösung bringt ein Feldpostbrief!

Unmittelbar nach der Ermittlung der Daten zu dem oben genannten Bild rückte ein Dokument in den Mittelpunkt der Untersuchung, das aufgrund seiner ausführlichen Beschreibung der Kriegsgeschehnissen an sich schon interessant erschien.

In einem der von Johann Heinrich Zehnbauer verfassten Feldpostbriefe beschreibt dieser den Einschlag von „Schüssen“ in die Stallungen und Unterkünfte der Munitionskolonne. Der Brief trägt das Datum „19.08.1917“, also einen Tag nach Heinrich Ahlbachs Tod, welcher im Brief mit den Worten „Aber auch ein Mann mußte noch dabei bleiben. Der arme Kerl war so ein guter Mensch gewesen“ beschrieben wird.

Dass solch ein Ereignis selbst bei einem kriegserfahrenem Soldaten wie dem Unteroffizier Zehnbauer nicht ohne Spuren blieb, zeigt die ungewöhnlich offene Beschreibung seiner Gefühle und Ängste:

„Feldpostbrief von Unteroffizier Johann Heinrich Zehnbauer gelaufen 21.08.1917 an Familie Johann Adam Zehnbauer in Bensheim an d. Bergstraße, Metzgerei, Poststempel / Absender: Masurisches Fuss-Artillerie-Regiment 22, I. Bataillon, 2. Batterie, Munitions-Kolonne;
Text: Flandern 19 August 1917 Lieber Bruder und Schwägerin
Eure Sendung und Briefchen erhalten. Meinen herzlichsten Dank dafür. Aber gegessen habe ich noch nichts davon. Habe auch keinen richtigen Appetit gehabt, der ist mir dieser Tag mal vergangen. Da sitze ich gerade so gemütlich am Abend beim Kaffeetrinken und esse mein Brot dazu und wollte grad von der Wurst abschneiden, da saust mir eine Granate über den Kopf und schlägt 100m weiter ein. Ich bin darüber so erschrocken, daß mir heute noch die Hände zittern. Wir liegen nämlich hier auf einem Speicher mit Stroh drauf. Wenn ich draußen in Stellung bin da fällt mir das gar nicht ein, weil wir nichts anderes zu erwarten haben aber im Quartier da man an nichts denkt ist anders. Da bin ich dann gleich vom Speicher runter in die Wiese gelaufen. Auf einmal kommt wieder ein Schuß direkt neben unseren Stall und schlägt im Stall 4 Pferde gleich mausetot und 2 sind gleich drauf kabut gegangen. Einer hat noch ein tiefes Loch im Leib der lebt noch. Aber auch ein Mann mußte noch dabei bleiben. Der arme Kerl war so ein guter Mensch gewesen. Was habe ich da Glück gehabt, daß ich darauf grad nicht im Stall war. Hier geht es überhaupt sehr schlimm zu. Wenn wir nur hier wieder gesund heraus wären. Sonst bin ich noch Gott sei Dank gesund, was ich von Euch auch hoffe. Vielleicht komme ich auch bald wieder mal in Urlaub. Mit herzlichen Grüßen Euer Bruder und Schwager JEAN (Spitzname von Johann Heinrich Zehnbauer)
Viele Grüße an die Kinder und die Mutter und Großmutter.
Gruß an Betha und Mann, Gretchen und die Tante
Auf Wiedersehen. Eben sitze ich auf der Wiese und tue Pferde [zeichnen]"

Somit ergänzen sich die zwei Dokumente – der Feldpostbrief vom 19.08.1917 und das Foto des Soldatengrabes – und liefern tiefgreifende persönliche Einblicke in die Erfahrungen der Frontsoldaten der Westfront, ist es doch das einzige Bild, welches sich im Nachlass findet, auf dem ein Soldatengrab zu sehen ist und zudem auch der einzige Brief in dem der Verlust eines Kameraden beklagt und die empfundene Angst ausgesprochen wird.

All dies geschieht im Rahmen der Flandernschlacht, die seit dem 31. Juli 1917 tobt und mit voller Härte geführt wird. Die Chronik beschreibt den Einsatz von Gasgranaten auf beiden Seiten sowie den Kampf gegen englische Tanks[5].

NLJS_Dokumente_NLJZ_0633; Nachlass Zehnbauer, Bensheim; Feldpostbrief von Unteroffizier Johann Heinrich Zehnbauer gelaufen 21.08.1917 an Familie Johann Adam Zehnbauer in Bensheim an d. Bergstraße, Metzgerei; Poststempel / Absender: Masurisches Fuss-Artillerie-Regiment 22, I. Bataillon, 2. Batterie, Munitions-Kolonne; Text: Flandern 19 August 1917 [Anm.: Raum Beselare, Belgien; Nähe Ypern] Lieber Bruder und Schwägerin, Eure Sendung und Briefchen erhalten. Meinen herzlichsten Dank dafür. Aber gegessen habe ich noch nichts davon. Habe auch keinen richtigen Appetit gehabt, der ist mir dieser Tag mal vergangen. Da sitze ich gerade so gemütlich am Abend beim Kaffeetrinken und esse mein Brot dazu und wollte grad von der Wurst abschneiden, da saust mir eine Granate über den Kopf und schlägt 100m weiter ein. Ich bin darüber so erschrocken, daß mir heute noch die Hände zittern. Wir liegen nämlich hier auf einem Speicher mit Stroh drauf. Wenn ich draußen in Stellung bin da fällt mir das gar nicht ein, weil wir nichts anderes zu erwarten haben aber im Quartier da man an nichts denkt ist anders. Da bin ich dann gleich vom Speicher runter in die Wiese gelaufen. Auf einmal kommt wieder ein Schuß direkt neben unseren Stall und schlägt im Stall 4 Pferde gleich mausetot und 2 sind gleich drauf kabut gegangen. Einer hat noch ein tiefes Loch im Leib der lebt noch.  Aber auch ein Mann mußte noch dabei bleiben. Der arme Kerl war so ein guter Mensch gewesen. Was habe ich da Glück gehabt, daß ich darauf grad nicht im Stall war. Hier geht es überhaupt sehr schlimm zu. Wenn wir nur hier wieder gesund heraus wären. Sonst bin ich noch Gott sei Dank gesund, was ich von Euch auch hoffe. Vielleicht komme ich auch bald wieder mal in Urlaub. Mit herzlichen Grüßen Euer Bruder und Schwager JEAN (Spitzname von Johann Heinrich Zehnbauer), Viele Grüße an die Kinder und die Mutter und Großmutter. Gruß an Betha und Mann, Gretchen und die Tante Auf Wiedersehen. Eben sitze ich auf der Wiese und tue Pferde [zeichnen]; digitalisiert und transkribiert: Frank-Egon Stoll-Berberich 2017 ©.


Standort des Vorfalls / Angriff auf das Quartier der Munitionskolonne 2. Batterie


Links und Literaturhinweise

[1] http://des.genealogy.net/eingabe-verlustlisten/search/index (besucht am 31.05.2017)
[2] Suchanfrage bei www.volksbund.de (besucht am 31.05.2017)
[3] http://www.denkmalprojekt.org/2014/vl_masurisches-fussartillerie-reg_nr22_wk1.html (besucht am 06.04.2017)
[4] Filtzinger, Ph. (1933): Seite 221.
[5] Filtzinger, Ph. (1933): Seite 222ff.


© Frank-Egon Stoll-Berberich, 2017, Alle Rechte vorbehalten.


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