Mittwoch, 26. September 2018

4. Kriegsanleihe 1916 - Bensheimer Schülerin opfert ihr Taschengeld für die Soldaten an der Front

"Die kleine Lisa ist erst neun Jahre alt. Sie geht in Bensheim zur Schule, ihr Vater ist im Krieg und die Schülerin spendet ihr Taschengeld der Front".

Lisa (Elisabeth) Zehnbauer und ihre Klasse der Katholischen Volksschule Bensheim mit der Klassenlehrerin Frau Kempf 1917

So dürften etliche Lebensläufe in Deutschland, ja in ganz Europa ausgesehen haben und die kleine Lisa war nicht die einzige Schülerin, die dem Aufruf zur Spende gefolgt sein dürfte. 

Das Formular war für Schulen vorbereitet worden; der Name des Schülers, der Schule und des Lehrers kamen in die entsprechenden, vorgedruckten Felder. Da konnte man gar nicht "Nein" sagen!



Zu Beginn des Krieges hatte man sich in Deutschland zur Finanzierung des Krieges, dem liberalen Wirtschaftsgeist der Epoche gemäß, für Anleihen entschieden und nicht wie andere Staaten für eine Erhöhung der Steuern. Geld musste her und zwar in rauen Mengen, denn bereits die erste Kriegswoche schlug mit rund 750 Millionen Mark zu Buche, der erste Monat verschlang bereits 2.25 Milliarden Mark und es sollten noch vier Jahre Krieg folgen. 

Die erste Kriegsanleihe vom 10. bis 19. September 1914 brachte mit 1.177.235 Zeichnern, die alle 100 Mark einlegen mussten, insgesamt 4.5 Milliarden Mark. Aber 100 Mark Mindesteinlage war für keinen normalen Schüler zu stemmen. Zwar gab es auch schon im Rahmen der allerersten Kriegsanleihe Schulen und Schüler, die sich beteiligten, aber dabei handelte es sich um wenige Schulen, meist elitäre Gymnasien, die dieses Opfer erbringen konnten.

Einhundert Mark waren für das älteste der 6 Kinder Johann Heinrich Zehnbauers undenkbar. Das sah wohl auch die Regierung so und es wurden ab der 2. Kriegsanleihe auch Schulen mit einbezogen. Was vorerst noch als "pädagogischer Missgriff" verurteilt wurde, entwickelte sich spätestens mit der vierten Anleihe zu einer schulischen Pflichtveranstaltung.1

Jetzt durfte auch die kleine Lisa ihr Opfer bringen. Frau Kempf die Klassenlehrerin konnte gar nicht anders, als diesen organisierten Opfergang institutionell umsetzen und so landete das Taschengeld der kleinen Lisa... wo es besser nicht gelandet wäre!


Links und Literaturhinweise

1) siehe: Kronenberg, Martin (2014): Kampf der Schule an der "Heimatfront" im Ersten Weltkrieg: Nagelungen, Hilfsdienste, Sammlungen und Feiern im Deutschen Reich, Hamburg, Seite 106ff.

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Sonntag, 16. September 2018

Der Erste Weltkrieg im Bergsträßer Anzeigeblatt - Ausgesuchte Artikel und Annoncen - 06.07.1914 - Die Beisetzung des Thronfolgers und Princips Geständnis


Die Beisetzung des Erzherzogpaares Franz Ferdinand. 

Groß-Pöchlarn, 4. Juli, Die Särge des Erzherzogs und der Herzogin wurden unter strömendem Regen aus dem Waggon gehoben und in dem Wartesaal aufgebahrt. Zwölf Offiziere des Ulanenregiments Franz Ferdinand hielten die Ehrenwache. Nach neuerlicher Einsegnung wurden die Särge um 3 ½ Uhr morgens in den Galaleichenwagen gebracht. Der Trauerzug setzte sich durch ein dichtes Spalier der Bevölkerung, welche in stummer Ergriffenheit die Verblichenen begrüßte, zum Donauufer in Bewegung, wo er um 4 Uhr anlangte. Die Leichenwagen wurden auf eine Rollfähre geschoben, welche langsam über den Donaustrom setzte. Vom jenseitigen Ufer wurde der 3 ½ Kilometer lange Weg zum Schloß Artstetten fortgesetzt, wo der Trauerzug um 5 Uhr morgens anlangte. Die Särge wurden in der Schloßkirche aufgebahrt; Priester- und Nonnen hielten abwechselnd Betstunden. Um 8 und 9 ¾ Uhr trafen zwei Hofsonderzüge in Groß-Pöchlarn mit den Trauergästen ein, darunter Erzherzog Karl Franz Josef und Gemahlin, sowie die Kinder des verblichenen Paares. 
Artstetten, 4. Juli. Um 10 ¾ Uhr fand in der Schloß-Pfarrkirche in Gegenwart des Erzherzogs Karl Franz Joseph und der nächsten Verwandten der Verblichenen, zahlreicher Mitglieder des Kaiserhauses und sonstiger Trauergäste die feierliche Einsegnung der Leichen des Erzherzogs Franz Ferdinand und seiner Gemahlin statt. Dechant Dobner nahm unter großer geistlicher Assistenz die feierliche Handlung vor. An den Särgen hielten Offiziere die Ehrenwache. Um 11 ½ Uhr wurden die Särge durch ein Spalier von Feuerwehrleuten und Veteranen durch das Parktor zur Gruft getragen, wo in Gegenwart der nächsten Anverwandten die endgültige Beisetzung erfolgte.

Wien, 4. Juli. Heute Vormittag fand in der Hofburg-Pfarrkirche ein feierliches Seelenamt statt, welchem dem Kaiser, die Mitglieder des Kaiserhauses und die Würdenträger beiwohnten. 
Wien, 4. Juli. In der ganzen Monarchie fanden heute für den Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin feierliche Requiems statt. 
Wien, 4. Juli. Der Kaiser empfing die Kinder des verstorbenen Erzherzogs in Audienz, die 20 Minuten dauerte.

Princips Geständnisse.

Der Attentäter Princip erklärte, nach dem „Berl. Lok.- Anz“, in der Untersuchungshaft, daß er sich nach dem Attentat“ habe selbst entleiben wollen; wenn er gewußt hätte, daß er daran gehindert werde, würde er das Attentat nicht begangen haben. Er sei jedoch froh, daß das Attentat gelungen sei. Wären auch die Kinder des Thronfolgerpaares mitgewesen, hätte er sich nicht gescheut, auch sie zu erschießen. Princip antwortet sehr intelligent. Da sicher die Todesstrafe an ihm vollzogen wird, gibt sich in der Serajower Gesellschaft die Forderung kund, daß dies öffentlich geschehe. Bei der Verhaftung des Belgrader Gymnasiasten Trifko Grabe wurde festgestellt, dass er beim Rathause mit Revolver und Bombe ein Attentat auf den Thronfolger geplant habe. Nach dem Attentat bei der Lateinerbrücke durch Princip begab sich Grabez in die Wohnung seines Schwagers, des Schuhmachers Crnogorcevic, wo er Revolver und Bombe versteckte. Gestern wurde die Bombe und der geladene Revolver gefunden und der Polizei übergeben. Grabez ist 17 Jahre alt, Sohn eines serbischen Priesters aus Pale, einem Orte unweit Serajewo, und Schüler der siebenten Gymnasialklasse. Er verkehrte in der Gesellschaft der Attentäter und hat Bombe und Revolver in Belgrad vom Chef der Narodna Ciganovic erhalten. Der Schwager des Grabez, der Schuster Crnogorcevic, wurde schon Montag verhaftet, da er geäußert hatte, er habe von dem Attentat eher gewußt als alle in der Untersuchung Befindlichen. Er leugnet, das gesagt zu haben. Grabez ist auch ein Verwandter der serbischen oppositionellen Landtagsabgeordnete Gavro Gasic, der der Narodnagruppe angehört. Der bosnische Landtag wird nach dem Begräbnis des Thronfolgerpaares aufgelöst. Dann werden mehrere serbische oppositionelle Abgeordnete verhaftet. Einige sind durch die Untersuchung stark kompromittiert.
Wien, 5. Juli. Dem „Wiener Correspondenz-Bureau“ gehen aus Belgrad folgende weitere Meldungen zu: Dem „Mali-Journal“ zufolge, hat die serbische Polizei Nachforschungen nach dem Komitadschi Tschiganowitsch angestellt, gegen den der Verdacht laut wurde, daß er an dem Attentat gegen den Erzherzog beteiligt gewesen sei. Die serbische Polizei hat von Tschiganowitsch noch keine Spur gefunden, setzt die Nachforschungen aber fort.


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Montag, 10. September 2018

"Gold gab ich für Eisen" - Urkunde über eine Goldspende anlässlich der Goldsammlung 1916.

Der Krieg hielt auch 1916 weiterhin an und nicht nur die Lage an der Front verschärfte sich, sondern auch die Haushaltslage der europäischen Kriegskassen. In ganz Europa, selbst in den USA, wurden auf verschiedene Art und Weise Rohstoffe eingesammelt, Geldspenden erbeten und Edelmetalle in Devisen getauscht, um die unaufhaltsam steigenden Kosten bei sich gleichzeitig verschärfender Rohstoffversorgung sicherzustellen.

Unaufhaltsam wurde im wahrsten Sinne des Wortes "das Tafelsilber verscherbelt". Waren es zu Beginn noch reine Kriegsanleihen, so machte man nun auch vor Kirchenglocken, Orgelpfeifen und Eheringen nicht mehr Halt.


Die hier gezeigte Urkunde über 16,50 Mark abgelieferten Goldes ist ein Beleg für den verzweifelten Versuch, den Krieg am Laufen zu halten. Was aber waren 16,50 Mark zur damaligen Zeit wert? Was konnte sich der Spender für diesen "vergüteten" Betrag kaufen.

Vielleicht macht man dies am besten an alltäglichen Gütern fest, dem Brot zum Beispiel. Im Jahre 1916, dem Zeitpunkt der Goldspende, hätte man 100 kg Weizenmehl  - jetzt kommen regionale Unterschiede zum Tragen - für 34,75 Mark in Eilenburg / Sachsen kaufen können oder für die gleiche Menge 50 Mark in Bayreuth / Bayern gezahlt. Das Brot als Bezugsgröße hätte in Frankfurt am Main 40 Pfennige für ein Kilogramm gekostet, wären also 41 Laib Brot gewesen.1

Was genau der edle Spender eingereicht hat, ist leider nicht klar, aber zumindest ist er eine Zeit lang satt geworden. War er der Einzige? Wohl kaum, denn sein Beitrag war, gemessen an der Gesamtsumme, bescheiden.

Die Werte der verschiedenen "Gelddruckaktionen" und deren Absicherung durch Kriegsanleihen kann man im Detail nachvollziehen. Im Jahre 1916 wurden durch zwei Kriegsanleihen - es waren während des Krieges insgesamt neun Kriegsanleihen - 21.365.000.000 Mark erzielt, allerdings 23.154.000.000 Mark als Schatzanweisungen in Umlauf gebracht2.... Richtig! Der Volksmund spricht von "Miesen"!



Links und Literaturhinweise

1) Brot- und Mehlpreise 1916, Quelle: Bergische Arbeiterstimme 29. Juni 1916: Mehl- und Brotpreise in deutschen Städten, entnommen der Homepage "1914-1918: Ein rheinisches Tagebuch" https://archivewk1.hypotheses.org/27632

siehe auch: Goldsammlung Petrinum - Schüler überwiesen im Kriegsjahr 1915 bereits 56.840 Goldmark, auf http://www.dorsten-lexikon.de/goldsammlung-petrinum/

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