Mittwoch, 22. August 2018

Der Erste Weltkrieg im Bergsträßer Anzeigeblatt - Ausgesuchte Artikel und Annoncen - 03.07.1914 - Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien


Österreich-Ungarn und Serbien.

 Die kaum noch zu bezweifelnde Tatsache, daß die Ermordung des unglücklichen Erzherzogs Franz Ferdinand und seiner Gemahlin als ein Ausfluß der seit Jahren betriebenen großserbischen Hetzereien gegen Oesterreich-Ungarn betrachtet werden muß, erscheint geeignet, kritische Rückwirkungen auf die offiziellen Beziehungen zwischen der habsburgischen Doppelmonarchie und Serbien zu äußern. Wohl haben sich König Peter und die serbische Regierung beeilt, dem vielgeprüften Kaiser Franz Josef und der österreichischen Regierung anläßlich der furchtbaren Mordtat von Serajewo zu kondolieren, auch an sonstigen amtlichen Belgrader Stellen hat man nicht mit Ausdrücken des Beileids aus dem genannten traurigen Anlasse zurückgehalten, aber diese Kundgebungen werden kaum den in den Wiener Regierungskreisen ebenso wie anderwärts vorherrschenden Eindruck wegwischen, daß das amtliche Serbien moralisch die Mitschuld an dem entsetzlichen Verbrechen in der Hauptstadt Bosniens trägt. Ist es doch erwiesen, das die großserbische Propaganda, welche von der Vereinigung der südslawischen Provinzen Österreich-Ungarns mit dem Königreich Serbien zu einem großserbischen Reiche träumt, in Belgrad ihren eigentlichen Ausgangspunkt und Rückhalt besitzt, daß in der serbischen Hauptstadt die Fäden der antiösterreichischen Agitation, welche immer rücksichtsloser auf jenes politische Ziel hinarbeitet, zusammenlaufen.
Von der serbischen Regierung ist indes bis jetzt so gut wie nichts geschehen, um in ihrem eigenen Lande dieser Agitation energisch entgegenzutreten, was schließlich eine gewisse, allerdings nur zu begreifliche, Verstimmung in den Wiener Regierungskreisen gegen Serbien hervorgerufen hat. Es wäre nicht weiter verwunderlich, wenn diese Verstimmung sich infolge der von Fanatikern serbisch-bosnischer Nationalität begangenen Untat in Serajewo noch verschärfen und das Verhältnis Österreich-Ungarns seinem serbischen Nachbarstaate ungünstig beeinflussen würde.

Anderseits steht freilich ebenso sehr zu befürchten, daß die jetzt mit Sicherheit zu erwartenden scharfen Maßnahmen der österreichisch-ungarischen Regierung gegen das nachgerade einen revolutionären Charakter annehmende Treiben der großserbischen Agitatoren und Verschwörer die Belgrader Regierungskreise mit Mißbehagen erfüllen werden. Auch die feindseligen Volksdemonstrationen, welche in einer ganzen Reihe von Orten Österreich-Ungarns gegen Serbien und die Serben anläßlich des Attentats von Serajewo stattgefunden haben, dürften in Belgrad verschnupfen, sodaß recht bald eine mißlichere Gestaltung des österreichisch-serbischen Gesamtverhältnisses eintreten kann. Freilich sind die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien nicht erst seit heute und gestern einigermaßen heikele, sie hatten vielmehr schon seit der formellen Annexion Bosniens und der Herzegowina seitens Österreich-Ungarns einen mehr oder weniger offiziellen Charakter angenommen. Begehrte doch Serbien selber heimlich nach jenen ehemaligen türkischen Provinzen, welchem Begehren der Kaiserstaat einen Riegel vorschob. Damals fehlte nicht viel, daß deshalb ein Krieg zwischen den beiden Nachbarländern ausgebrochen wäre. Als sich nun die österreichische Politik dem lebhaften Wunsche Serbiens während der Balkankrisis, einen Hafen am Adriatischen Meere zu erwerben, ganz energisch widersetzte, so erfuhr hiermit die antiösterreichische Stimmung in Serbien gegen die habsburgische Monarchie nur noch eine Vertiefung, und bei vieler gegenseitigen Gereiztheit ist das Verhältnis zwischen Österreich-Ungarn und Serbien eben bis heute ein mehr oder weniger gespanntes geblieben.


© Frank-Egon Stoll-Berberich, 2018, Alle Rechte vorbehalten.


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